Erste Ergebnisse der "GeMuKi"Studie

Risikofaktor Gewicht

„GeMuKi“-Studie zeigt Chancen und Hürden perinataler Prävention

Vorsorgeuntersuchungen sind Dreh- und Angelpunkt – Die ersten 1.000 Tage sind für gesunde Entwicklung entscheidend

Motivierende Beratungen zu den Themen Ernährung, Bewegung und Genussmittelkonsum im Rahmen der gesetzlichen Schwangerschaftsvorsorge können die Gesundheit von Mutter und Kind nachweislich positiv beeinflussen – so die ersten Ergebnisse des Forschungsprojekts „GeMuKi“. Der Anteil der Schwangeren, die übermäßig an Gewicht zugenommen haben, konnte durch die Lebensstil-Intervention signifikant gesenkt werden. Doch die Studie zeigt auch: Das Potenzial der Vorsorgeuntersuchungen wird nicht voll ausgeschöpft. Am Mittwoch wurden die ersten Ergebnisse und Erkenntnisse des in Baden-Württemberg mit fast 1.500 Teilnehmerinnen durchgeführten Forschungsprojekts „GeMuKi – Gemeinsam gesund: Vorsorge plus für Mutter und Kind“ öffentlich gemacht. In der Landesvertretung Baden-Württemberg in Berlin diskutierten im Rahmen des Kongresses „Gesunder Lebensstil rund um die Geburt“ verschiedene Akteure des Gesundheitssystems über passende Präventionsangebote für die Zukunft.

Wichtige Ergebnisse der Studie

Die Perinatalphase ist für die gesundheitliche Entwicklung entscheidend. Die vorläufigen GeMuKi-Ergebnisse zeigen, dass die im Rahmen von GeMuKi erprobte neue Versorgungsform in Bezug auf den primären Endpunkt (Gewichtszunahme während der Schwangerschaft) wirksam ist. Der Anteil der Schwangeren, die übermäßig an Gewicht zugenommen haben, konnte durch die Intervention signifikant gesenkt werden. 

Dabei sind die gesetzlichen Vorsorgeuntersuchungen ein optimaler Ansatzpunkt für Lebensstilberatungen. Perinatale Prävention wirkt, es gibt aber Hürden in der Praxis. Aus den praktischen Erfahrungen des GeMuKi-Projekts hat das Institut für Gesundheitsökonomie und Klinische Epidemiologie der Universitätsklinik zu Köln unter Leitung von Prof. Dr. Stephanie Stock im Rahmen der Evaluation die folgenden Empfehlungen und Erkenntnisse abgeleitet. 

  •  „Sprechende Medizin“: Die Versorgung in der Schwangerschaft darf sich nicht ausschließlich auf die medizinische Betreuung konzentrieren, da lebensstilbedingte Faktoren großen Einfluss auf die Gesundheit von Mutter und Kind haben. Beratungszeit zu Themen der Prävention sollte fest eingeplant werden.
  • Zusammenarbeit von Ärzt:innen und Hebammen stärken: Berufspolitische Konflikte und die daraus resultierende ablehnende Haltung einzelner Mediziner:innen und Hebammen gegenüber einer Zusammenarbeit gehen zu Lasten der Schwangeren. Damit Empfehlungen für einen gesundheitsförderlichen Lebensstil nachhaltig im Familienalltag umgesetzt werden, braucht es eine bessere Vernetzung der Berufsgruppen, damit Frauen einheitliche Botschaften zur Umsetzung erhalten.
  • Risikofaktor Gewicht – über Folgen der übermäßigen Gewichtszunahme während der Schwangerschaft aufklären: Ähnlich wie Nikotin oder Alkohol ist die übermäßige Gewichtszunahme während der Schwangerschaft ein Risikofaktor für die Gesundheit von Mutter und Kind. Vielen Menschen sind die Empfehlungen zur Gewichtszunahme in der Schwangerschaft noch nicht ausreichend bewusst. Hier sollte die Aufklärung von Schwangeren – auch durch Öffentlichkeitsarbeit – intensiviert werden.
  • Vorsorgeuntersuchungen ideales Setting für Zielvereinbarungen und Feedbackgespräche: Aus Sicht der Angehörigen der medizinischen Berufe und teilnehmenden Frauen sind Vorsorge-Untersuchungen ein gutes Umfeld für Lebensstil-Beratungen. Die Vertrauensbasis wirkt sich positiv auf (werdende) Mütter aus. Motivierende Beratungen mit den behandelnden Ärzt:innen oder Hebammen inklusive Vereinbarung individueller Gesundheitsziele werden als Ansporn zur Umsetzung von kleinen Lebensstilveränderungen bewertet.
  • Aufmerksamkeit schaffen: Die Fachakteure, sprich Ärzt:innen und Hebammen, müssen für Lebensstil-Themen und Perinatale Programmierung sensibilisiert werden.
  • Kommunikationskompetenz der Leistungserbringer stärken:  Um Fachleute zu befähigen, auch sensible und als „schwierig“ empfundene Themen anzusprechen, sollte eine Investition und Verankerung in Aus- und Fortbildungen erfolgen.

Dazu der Geschäftsführer der Plattform Ernährung und Bewegung Mirko Eichner: „Perinatale Prävention ist entscheidend für die gesundheitliche Entwicklung. Ausgewogene Ernährung und ausreichende körperliche Aktivität in der Schwangerschaft haben einen enormen Einfluss für das gesunde Aufwachsen von Babys und Kleinkindern. Die „GeMuKi“-Studienergebnisse verfestigen die Erkenntnisse, dass man Gesundheit rund um die Geburt positiv beeinflussen kann. Hiervon sollten zukünftig alle Eltern und Kinder in Deutschland profitieren.“ 


Worüber Expert:innen diskutieren

Beim GeMuKi-Abschlusskongress diskutierten hochrangige Akteure des Gesundheitssystems darüber, welche Rahmenbedingungen geschaffen oder optimiert werden müssen und wie innovative und wirksame Präventionsangebote umgesetzt werden können.

  • „Der Lebensstil von Schwangeren beeinflusst die spätere Entwicklung des Kindes. Kinder von Müttern, die während der Schwangerschaft übermäßig zunehmen, sind häufig übergewichtig und sie haben ein höheres Diabetesrisiko. Wir müssen die Grundlage für ein gesundes Aufwachsen fördern. Und die wird bereits im Mutterleib gelegt“, fasst Winfried Plötze, Landesgeschäftsführer der BARMER in Baden-Württemberg, zusammen.
  • „Die gesündeste Ernährung für das Neugeborene ist die Muttermilch und Stillen ist zudem gesundheitsförderlich für die Frau. Stillen fängt aber nicht erst mit der Geburt an, sondern im Kopf spätestens in der Schwangerschaft. Deshalb ist eine verpflichtende Beratung im Rahmen der Schwangerenvorsorge, also fixiert in den Mutterschaftsrichtlinien (MSchRL) sinnvoll“, betont Ulrike Hauffe, Stellvertretende Verwaltungsratsvorsitzende der BARMER.
  • „In Deutschland gibt es vielfältige Unterstützung rund um die Geburt. Dennoch profitieren Familien in belastenden Lebenssituationen häufig nicht davon. Hier braucht es niedrigschwellige Zugänge zu vernetzten, aufeinander abgestimmte Angebote und Fachkräfte mit einer wertschätzenden und partizipativen Haltung.“, sagt Mechthild Paul, Leiterin Nationales Zentrum Frühe Hilfen in der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung.
  • „Wir sehen in digitalen Anwendungen wie Apps ein großes Potenzial, eine übermäßige Gewichtszunahme in der Schwangerschaft zu kontrollieren. Für eine qualitätsgesicherte und evidenzbasierte Ergänzung zur bisherigen Schwangerschaftsvorsorge besteht jedoch noch umfassender Forschungsbedarf“, so Prof. Dr. Hans Hauner, Direktor des Instituts für Ernährungsmedizin und Else Kröner-Fresenius-Zentrums für Ernährungsmedizin der TU München.

Weitere Stimmen der Redner:innen

  • „Die ersten 1000 Tage sind entscheidend für die Ausbildung von Organstrukturen des Menschen und werden durch Ernährungseinflüsse stark beeinflusst. Wir sollten sie nutzen und an „einem Strang ziehen“, um perinatale Risikofaktoren für die Entstehung von Übergewicht zu vermeiden!“  Uni.-Prof. Dr. med.  Regina Ensenauer, Leiterin des Instituts für Kinderernährung, Max Rubner-Institut, Karlsruhe
  • „In Schwangerschaft und Säuglingsalter werden zentrale Weichen für die lebenslange Gesundheit von Kindern gestellt. Dafür braucht es Präventionsangebote, die junge Familien aller sozialen Schichten und auf Augenhöhe bei der Umsetzung eines gesunden Lebensstils unterstützen.“ Maria Flothkötter, Leiterin des Netzwerk Gesund ins Leben, Bundeszentrum für Ernährung, Bonn
  • „Eine ganzheitliche und umfassende Schwangerenvorsorge ist eine einmalige Chance auf körperliche und seelische Gesundheit von Mutter und Kind. Wird diese Chance vertan, so kann sie später im Leben kaum ausgeglichen werden und wenn, dann nur unter großen Mühen der Betroffenen. Jeder, der in die Schwangerenvorsorge involviert ist, muss sich seiner Verantwortung bewusst sein und sich ihr in der täglichen Arbeit stellen. Wir müssen es tun.“ Dr. med. Volker Heinecke, Facharzt für Frauenheilkunde und Geburtshilfe, Berufsverband der Frauenärzte, Bad Urach
  • „Schwangere Frauen wünschen sich eine verbesserte Kooperation zwischen Frauenärzt:innen und Hebammen. Dafür müssen die berufspolitischen und ggfs. rechtlichen Hindernisse – wie der ärztliche Delegationsvorbehalt - aufgezeigt und aufgelöst werden.“ Ulrike Hauffe, Stellvertretende Verwaltungsratsvorsitzende BARMER, Bremen
  • „Für uns Hebammen müssen gute Präventionsangebote vor allem die Bedürfnisse der Frauen und Familien in den Mittelpunkt stellen. Das erfordert Zeit, Kontinuität und Wertschätzung - sowie eine bessere Zusammenarbeit der verschiedenen Gesundheitsberufe.“ Ulrike Geppert-Orthofer, Präsidentin Deutscher Hebammenverband, Berlin
  • „In Deutschland haben wir über 800.000 stark übergewichtige Kinder und Jugendliche. Nur 1 Prozent erhalten eine leitliniengerechte Therapie. Daher besteht eine dringende Notwendigkeit die Prävention von Adipositas im Kindes- und Jugendalter zu verbessern. Die ersten 1000 Lebenstage (von Beginn in der Schwangerschaft bis zum zweiten Geburtstag) sind eine wichtige prägende Phase für die Prävention von Übergewicht. Mit der vollständigen Erreichbarkeit von Schwangeren, Säuglingen und Kleinkindern und den jungen Familien sind die etablierten Vorsorgeuntersuchungen in den Praxen von Frauenärzt:innen, Hebammen und Kinder- und Jugendärzt:innen eine sehr gute Möglichkeit, gesundheitsförderliche Beratungen durchzuführen. Daher ist der GeMuKi-Ansatz ein wichtiger Beitrag zur frühkindlichen Adipositas-Prävention.“ Dr. Thomas Kauth, Kinder- und Jugendarzt, Präventionsausschuss des Berufsverbandes der Kinder- und Jugendärzte
     

Über die „GeMuKi“-Studie

Die ersten 1000 Tage, vom Zeitpunkt der Empfängnis bis zum Ende des zweiten Lebensjahres, sind prägend für die Gesundheit. Für die optimale Förderung eines gesunden Starts ins Leben ist eine fachübergreifende Gesundheitsberatung für Schwangere und junge Eltern daher von besonderer Bedeutung.

Die Interventionsstudie „Gemeinsam gesund: Vorsorge plus für Mutter und Kind“ (GeMuKi) wurde 4,5 Jahre gefördert. Sie ergänzt als innovative Versorgungsform die gesetzlichen Vorsorgeuntersuchungen in der Schwangerschaft, nach der Geburt und im Kindesalter erstmals durch eine strukturierte Präventionsmaßnahme in den Bereichen Bewegung, Ernährung, Körpergewicht, Stillen und Lebensstil. Ziel der Beratungsgespräche war es, bei den Frauen die intrinsische Motivation zu wecken, sich gesundheitsförderlich zu verhalten. Dies geschah auf Basis der Beratungsmethode „Motivierende Gesprächsführung“ sowie mithilfe einer ergänzenden App, über die die Frauen an ihre individuell gesetzten Gesundheitsziele erinnert wurden.

Ziele des komplexen Projekts waren die Reduktion des Übergewichts- und Adipositasrisikos bei Mutter und Kind, die Stärkung der Gesundheitskompetenz werdender Mütter bzw. junger Eltern, die bessere Vernetzung des medizinischen und nicht-medizinischen Fachpersonals sowie die Stärkung der kommunikativen Kompetenz der Fachakteure. Insgesamt wurden 1.466 schwangere Teilnehmerinnen in zehn Regionen Baden-Württembergs in die Studie eingeschrieben. Die Universitätsklinik Köln hat die Wirksamkeit der Intervention, die Wirtschaftlichkeit der neuen Versorgungsform sowie den Prozess der Implementierung evaluiert. 

Hintergrund

Die Zahl der Übergewichtigen und Adipösen in Deutschland nimmt laut 13. DGE-Ernährungsbericht weiter zu. Jede dritte Frau im gebärfähigen Alter sowie ca. 15 Prozent der Kinder und Jugendlichen im Alter zwischen 3 bis 17 Jahren sind laut KiGGS-Studie (2003 - 2006 und 2014 - 2017) des Robert Koch-Instituts übergewichtig. Übergewicht und Adipositas in der Schwangerschaft erhöhen das Risiko für Schwangerschafts- und Geburtskomplikationen signifikant, insbesondere Gestationsdiabetes, Präeklampsie, Makrosomie und Kaiserschnitte. Aktuell wird in Deutschland bei 68,5 Prozent der Schwangeren eine gemäß den Kriterien des „Institute of Medicine“ (IOM) übermäßige Gewichtszunahme beobachtet.

Das GeMuKi-Konsortium

Das Projekt GeMuKi wird aus Mitteln des Innovationsfonds des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA) von 10/2017 – 3/2022 im Bereich „Neue Versorgungsformen“ gefördert und unter Beteiligung folgender Konsortialpartner durchgeführt:

  • Plattform Ernährung und Bewegung,
  • Institut für Gesundheitsökonomie und Klinische Epidemiologie Universitätsklinikum Köln,
  • Fraunhofer Institut für Offene Kommunikationssysteme FOKUS,
  • BARMER,
  • Kassenärztliche Vereinigung Baden-Württemberg.

Downloads:

Hier können Sie die Präsentationen der GeMuKi-Abschlussveranstaltung als PDF-Dokumente herunterladen